Kolonistenschiff erleidet im All ungeplante Komplikationen
Rezension von Gian-Philip Andreas – 12.02.2023, 17:27Uhr
Eigentlich kann man von Space-Travel-Geschichten nie genug bekommen: Was da alles möglich ist auf dem Weg durch die unendlichen Weiten! Dass es dabei aber nicht nur Meisterwerke geben kann, demonstriert die neue SYFY-Serie „The Ark“ – obwohl ihre Prämisse sehr interessant klingt: Weil es während der Reise zu einem kolonisierbaren Planeten zu einer mysteriösen Katastrophe kommt, steht die Besatzung eines Raumschiffs plötzlich ohne Leitungsebene da. Übernehmen muss die zweite Riege. Das passt recht gut zu einer Serie, die selbst eher nach zweiter Liga aussieht.
Gewiss, es ist nicht leicht, dem ganzen „Star Trek“-Universum, Space-Travel-Kinoklassikern von „2001“ bis „Interstellar“ oder Erfolgsformaten wie „The Expanse“ noch irgendwas ähnlich Relevantes oder gar Originelles an die Seite zu stellen; auch über den menschlichen Neuaufbau irgendwo im Weltall à la „Lost in Space“ ist bekanntermaßen schon jede Menge erzählt worden. Das Arche-Noah-Prinzip in ewiger Wiederholung: Ein paar Auserwählte oder Übergebliebene müssen’s noch mal von Anfang an neu regeln, im Idealfall sogar besser machen. Wie hieß noch mal die Raumstation in „The 100“? Ach ja: The Ark.
So heißt jetzt auch die neue Serie von Dean Devlin, einem echten Veteranen der populären Science Fiction. Für Roland Emmerich schrieb und produzierte er dessen Hits wie „Independence Day“ oder „Stargate“. Allerdings ist das fast dreißig Jahre her. Heutzutage reicht’s immerhin noch für SYFY, einen Pay-TV-Kanal, der in den letzten paar Jahren nicht mehr allzu viel Memorables auf den Bildschirm brachte – als Ausnahmen seien hier „Chucky“ und „Resident Alien“ empfohlen. Einen deutschen Starttermin oder auch nur Sender hat „The Ark“ allerdings noch nicht gefunden, und nach den ersten beiden Episoden darf man sich durchaus fragen, ob das wirklich zu bedauern ist. Auf eine zweite Staffel sollte man noch nicht allzu viel Geld setzen.
Richtig schlecht allerdings ist die Serie nicht, sie ist vor allem: mittelmäßig. Das fängt schon bei der Besetzung an, in der es keine Totalausfälle gibt, aber auch keine erinnerungswürdigen Ausreißer nach oben. Zu sehen ist eine Mischung aus Mittelbau-Mimen, diversen Überläufern aus anderen SYFY-Serien, ergänzt um Dean Devlins Ehefrau und diverse Kleindarsteller, die die Produktion offenbar in serbischen Boxbuden aufgegabelt hat. Dass das Englisch hier so oft mit balkanischem Akzent vorgetragen wird, dürfte tatsächlich damit zu tun haben, dass „The Ark“ in einer Belgrader Studiohalle produziert wurde.
Grundvoraussetzung für den Cast war es aber sowieso eher, nicht älter als vierzig und möglichst telegen zu sein. Der Neuaufbau der Menschheit soll unmissverständlicherweise mit möglichst jungem und knackigem und darob verschärft fortpflanzungsbegabtem Personal angegangen werden. Spielzeit der Serie: in hundert Jahren. Um die Erde ist es dann nicht mehr allzu gut bestellt, weshalb auf einem fernen Planeten eine Kolonie gegründet werden soll. Was genau der Erde zusetzte, ob das klimatische Gründe hatte, ob es um Kriege oder sonst was ging, das wird nicht näher erläutert; in zeitdiagnostisch-politische Gefilde wagt sich „The Ark“ ganz entschieden keinen Millimeter vor. Jedenfalls ist es das Raumschiff „Ark 1“, das als eine erste Arche fungieren soll: Die Reise wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen, weshalb die Besatzung in den aus zahllosen anderen Sci-Fi-Erzählungen bekannten Cryoschlaf versetzt wird.
Doch dabei, und genau damit beginnt die Pilotepisode, geht etwas schief: Ein Jahr vor dem programmierten Ende der Reise kommt es zu einem katastrophischen Bruch der Raumschiffhülle. Lieutenant Sharon Garnet (Christie Burke, „Maid“) erwacht gerade noch rechtzeitig, weil eine Strebe auf ihre Schlafkapsel kracht; es gelingt ihr, zumindest etwa 150 andere Crewmitglieder aufzuwecken, die in den im riesigen Hangar wie Särge nebeneinander platzierten Kapseln schlummerten, dann kracht die Arche schon in wesentlichen Teilen auseinander. Zwar kann die „Ark 1“ notdürftig auf Kurs gehalten werden, die Bilanz aber ist desaströs: Mit minimalen Wasser- und Nahrungsvorräten muss ein ganzes Jahr Reise überbrückt werden, zudem sind mehrere Hunderte Crew-Mitglieder bei dem Unglück gestorben – darunter die gesamte Leitungsriege. Was tun?
Schnell zeigt Devlin, der auch die Pilotfolge inszenierte, dass er sich mit retardierendem Gedöns nicht lange aufhalten will; ruckzuck lässt er „The Ark“ in der dramaturgischen Mechanik routinierter Space-Travel-Märchen einrasten. Ständig geht irgendwo irgendwas technisch schief, ständig schrillt irgendwo irgendein Alarm, ständig geht irgendwo der Sauerstoff aus, und immer hat irgendjemand doch noch eine rettende Last-Second-Lösung im Ärmel. Garnet ernennt sich als erste Amtshandlung für den Rest der Reise zum Interims-Captain, sehr zur Überraschung ihrer ranggleichen Mit-Lieutenants Spencer Lane (Reece Ritchie aus „The Outpost“) und James Brice (Richard Fleeshman). Prompt kommt es zu ersten Machtpröbchen, und sei’s auch nur um die Frage, wer denn nun die schickste Einzelkabine bekommt.
Mit im Schiff sind ein grimmiger Security-Chef (Pavle Jerinic), eine alerte Ärztin (Shalini Peiris) und diverse unterrangige Dienstleister, die sich plötzlich in Führungsrollen wiederfinden, darunter das Social-Media-Sternchen Cat Brandice (Christina Wolfe aus „Batwoman“, auch in echt die Prominenteste an Bord), das zu einer Art Wohlfühltherapeutin ernannt wird (Seitenbemerkung: in 100 Jahren scheint es also immer noch Social Media zu geben, die genauso aussehen wie unsere heutigen Social Media). Oder Crewmitglied Eva Markovic (Tiana Upcheva, ebenfalls aus „The Outpost“), die zur leitenden Ingenieurin befördert wird. Außerdem schrieb Devlin gleich zwei Nerds ins Drehbuch, erkennbar daran, dass sie große Hornbrillen tragen müssen und so plappern, gestikulieren und mit den Augen rollen müssen wie aufgeputschte Trickfilmfiguren: Landwirtschaftsexperte Angus Medford (Ryan Adams) hat illegal ein paar Zentner fruchtbare Erde an Bord geschmuggelt, in der er nun Gemüse und Getreide heranwachsen lassen kann, auch wenn er dafür rares Wasser nutzen muss; die dauerplappernde Mülltechnikerin Alicia Nevins (Stacey Michelle Read) hingegen, 19 Jahre erst jung, erweist sich als Programmiergenie und kommt auf diese Weise an einen Platz auf der Raumschiffbrücke. Ein erstes Liebesdreieck bahnt sich an: Angus steht auf Alicia, aber Alicia eher auf Trent (Miles Barrow aus „Peripherie“), der allein deshalb als im Vergleich attraktiver inszeniert wird, weil er keine Hornbrille trägt. So simpel ist das manchmal. Allerdings hatte Trent möglicherweise zuvor etwas mit seiner beim Unglück verstorbenen Vorgesetzten. Hat er sonst noch etwas zu verbergen?
Den austauschbaren Figurenkonstellationen wird schon von Anfang an mit diversen erzählerischen Injektionsspritzen mühevoll aus ihrer Lethargie geholfen – etwa mit einer Prise Whodunit-Krimi. Schon am Schluss der Pilotepisode ist ein Mordopfer zu beklagen, gleich mehrere Besatzungsmitglieder stehen ab Folge zwei (Regie: Milan Todorovic von, Sie ahnen es, „The Outpost“) unter dringendem Verdacht: War es Garnet, gegen die der Ermordete, ein unwirscher Hochstapler, etwas in der Hand hatte? War es der in seiner Ehre gekränkte Lane? Oder doch Markovic, die selbst einen persönlichen Verlust zu beklagen hatte, an dem das Mordopfer nicht unschuldig war?
Immer nur so halb engagiert mag man diesen Geschehnissen folgen, was auch daran liegt, dass sich die Serie optisch sehr steril präsentiert. Kaum einmal werden die generischen Gänge, Cafeterien und Schlafräume verlassen (ab Folge zwei gibt’s immerhin kurze Rückblenden), und über die Qualität der CGI-Effekte kann man Stand jetzt schlicht wenig sagen – weil es kaum welche zu sehen gibt, abgesehen von den turnusgemäßen Modellaufnahmen der im All schwebenden Ark 1: Das Raumschiff besteht in bewährter Manier aus mehreren sich unabhängig voneinander drehenden Modulen. Ob da noch mehr kommt? Wir werden es sehen.
Ob hingegen das, was da in den diversen Handlungssträngen an Technik und Wissenschaft nutzbar gemacht wird, wenigstens grundlegendsten Glaubwürdigkeitsprüfungen standhält, das mögen Berufenere einschätzen: So wirklich wasserdicht wirkt das alles nicht. Kein Wunder, erfordert die suspension of disbelief der Serie doch auch, dass zwar das Damoklesschwert des sehr baldigen Verdurstens über der gesamten Crew schwebt, alle aber immer noch sehr relaxt durch die Gegend laufen; oder dass zwar das Wasser streng rationiert ist, aber alle stets mit vortrefflicher Frisurenfülle der Verwahrlosung trotzen; oder dass schon am Anfang alle so unverwirrt und unzerzaust, sprechfähig und denkschnell aus ihrem fünfjährigen Cryoschlaf erwachen, als hätten sie bloß ein Power-Nickerchen am Schreibtisch eingelegt; oder dass sich ausgerechnet die schöne Blonde nicht zu schade dazu ist, im Austausch für eine kurze Dusche sexuelle Animierdienste anzubieten. Oder oder oder.
Zugutehalten muss man „The Ark“, dass Devlin als Entertainmentfabrikant versiert genug ist, um keine größere Langeweile aufkommen zu lassen. Das Tempo ist hoch, Cliffhanger gibt’s genug – es ist sogar so viel los, dass es durchaus zulasten der Charaktere geht. Die einzelnen Figuren haben kaum je eine ruhige Minute, in der das Publikum sie näher kennenlernen könnte. Erfahrungsgemäß aber kann sich das noch ändern in Serien dieser Art, die zumindest von der Anlage her auf eine längere Laufzeit spekulieren. Da braucht es üblicherweise einige Folgen, wenn nicht sogar Staffeln, ehe sich das Team richtig „eingroovt“ und die Autoren an den einzelnen Rollen nachgeschärft haben. Insofern müssen Space-Travel-Fans hier nicht zwangsläufig sofort die Segel streichen. Doch die Skepsis, ob diese Arche überhaupt auf Dauer Kurs halten darf, die bleibt.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The Ark“.
Meine Wertung: 2,5/5
Die zwölfteilige Auftaktstaffel von „The Ark“ wird seit Anfang Februar in den USA bei SYFY ausgestrahlt. Eine deutsche Heimat ist noch nicht bekannt geworden.